Kram

#Mixtapemit16, oder: Make it up to you in the year 2000

Ausgehend von diesem kleinen Tweet hat sich eine Welle namens #Mixtapemit16 durch meinen Feedreader und die Twitter-Timeline ergossen, der ich jetzt auch noch erliege. Den Anfang der Blogposts gibt es hier, viele weitere Beiträge dort in den Kommentaren und Pingbacks sowie natürlich mit dem Hashtag.

16 Jahre alt war ich im Jahr 2000, ich war gerade in den Keller des mütterlichen Hauses umgezogen, wo ich laut sein konnte und eine eigene Haustür hatte, was bislang unbekannte Freiheiten ermöglichte. Außerdem begann in dieser Zeit die Herausbildung meines Musikgeschmacks, den man auch so nennen kann. In dieser Zeit kaufte ich meine erste Visions-Ausgabe, das Magazin sollte ca. bis zum Abitur meinen Blick auf Musik noch stärker prägen als Viva Zwei. Also, hier nun, zwei Mal 45 Minuten, wie sich das gehört, jede Band nur einmal, keine Spirenzchen.

Seite A

Miles – Pretty Day (03:05)

Miles waren für einen Jugendlichen, der gleichzeitig alternative-kredibel sein will aber noch auf die alten Zuckerpopstückchen stand Gold wert. Und die Band ist bemerkenswert gut gealtert, denn hier könnten auch Songs wie „Perfect World“ oder „Menlo Park“ stehen. Alle gut. Öfter mal reinhören!

Everlast – What it’s like (05:03)

Ich kannte Everlast, bevor ich House of Pain kannte. Viva Zwei spielte obenstehendes Lied in der höchstmöglichen Rotation (gefühlt alle 20 Minuten), und es bleibt ein guter Song, auch wenn ich ihn auf Jahrzehnte totgehört habe.

The Weakerthans – Left and Leaving (04:45)

„Left and Leaving“ ist ein wundervolles Album und ein wundervoller Titeltrack, und ihr solltet alle in den nächsten Plattenladen laufen und es kaufen, wenn ihr es noch nicht kennt. Mehr kann und will ich dazu nicht sagen.

A – Old Folks (03:55)

Ihr kennt A alle nur von „Nothing“ und „I Love Lake Tahoe“, aber die waren richtig gut. So gut, dass „Monkey Kong“ ungefähr eine Ewigkeit von 16 Monaten lang mein Nickname in allen Egoshootern war. Und Mails an monkey.kong@gmx.de erreichen mich erst seit gut 12 Jahren nicht mehr.

Die Ärzte – Ein Lied für dich (02:43)

„13“ ist auf lange Sicht eines der eher vergessenen Ärzte-Alben, war aber auch ziemlich okay – und das erste, das ich mir gekauft habe. Der Opener ist eine ziemlich billige Anbiederung an die Fans, hat aber die wunderschöne Strophe „Sind wir zu kindisch? Aber Hallo! / Niveaulos sind wir sowieso / Na und? Dafür sehn wir besser aus / Und unsre Reime sind auch nicht von schlechten Eltern.“

Rancid – Black Hawk Down (01:41)

Ich fordere euch dazu heraus, das Lied draußen über Kopfhörer zu hören und nicht am Anfang unwillkürlich nach oben zu gucken um den Helikopter zu suchen. Ansonsten: die ganze 2000er-Rancid-Platte ist fantastisch, durchgeprügelt, so roh wie Stadion-Punk nur sein kann. Besser wurden sie danach nicht mehr, über das Davor können wir gerne mal bei einem Bier streiten.

Muff Potter – Das Frozen Man Syndrom (05:10)

Mehrere Jahre habe ich Gitarre gespielt, Effekte geschraubt und Recording-Software zu bedienen gelernt, nur um einen so guten Song zu schreiben. Es ist mir nie gelungen (aber ein paar ganz gute Songs habe ich, finde ich, trotzdem hingekriegt). Mit „Das Frozen Man Syndrom“ habe ich außerdem inhaltlich mit meinem Deutsch-Leistungskurs abgeschlossen, weil mein Lehrer den Songtext nicht zur Gedichtanalyse-Hausaufgabe annehmen wollte. Tja, Herr H.

Surrogat – Seid Ihr Mit Mir (03:17)

1999 hatte ich das erste Mal von Rage Against the Machine gehört (im damaligen „1Live Kultkomplex“), wenige Monate später wurden dort mit bemerkenswerter Blödsinnigkeit „die deutschen Rage“ angekündigt, und zwar Surrogat. Ich brauchte Monate, um mir das Album schönzuhören, einen sperrigen Brocken ohne einen einzigen geradeaus gehenden Viervierteltakt. Aber es hat sich gelohnt. Songauswahl wegen der wunderbaren minimalen Keyboard-Hook im Refrain.

Deftones – Digital Bath (04:15)

Im Jahr 2000 erschienen einige fantastische Alben, und meiner Überzeugung nach gehörte auch „White Pony“ von den Deftones dazu – ein Album, das ich seit Jahren nicht gehört habe, weil es eben doch ziemlich dated ist – der meines Erachtens immer noch beste Song davon ist nicht einmal auf dem Album, sondern eine mainstream-single-taugliche Variante von „Pink Maggit“ namens „Back to School“ – die aber erst 2001 erschien und deshalb nicht auf dieses Mixtape passt.

Placebo – Pure Morning (04:14)

„A friend in need’s a friend indeed, a friend with weed is better. A friend with breasts and all the rest, a friend who’s dressed in leather“ – Hell yeah, Erwachsenenmusik!

Muse – Unintended (03:57)

Ein, zwei ruhige Songs gehören auf jedes Tape, vor allem, wenn es für Mädchen ist, die es danach nie anhören oder mit ihrem Freund aus der 13, der schon einen Führerschein hat und der besser Gitarre spielt und der sich, StudiVZ und Facebook zufolge, mit 23 die Haare abschnitt um als Ingenieur Karriere machen zu können.

Air – Playground Love (03:31)

Herzschmerz wird viel zu oft glorifiziert, nur weil wir uns ab Mitte 20 nicht mehr daran erinnern können, wie lebensbedrohlich furchtbar der mit 16 war. Aber wenn er zu solchen Songs kommt, ist es doch nicht ganz so schlimm. Soundtrack eines wunderbaren Filmes, härter wurden Air nie wieder.

Seite B

WIZO – Kein Gerede (02:52)

Zur Unterzeichnung meines Arbeitsvertrages im öffentlichen Dienstes musste ich unter Eid versprechen, dieses Lied nie wieder betrunken mitzugröhlen, oder so. Dank zehn Mal kopierten CDs oder der ersten Einsätze von Napster hatten wir natürlich die unzensierte Nicht-Karaoke-Fassung des ersten Liedes, dass wir „weil es verboten ist“ gut fanden. Und gleichzeitig das erste Lied, wegen dem meine Mutter ein ernstes, einordnendes Gespräch mit mir führen wollte.

Suicidal Tendencies – Pop Song (02:19)

Der Visions lag, zumindest zu meiner Zeit, stets eine Gratis-CD namens „All Areas“ bei. Volume 7 war der wohl beste Gratis-Sampler aller Zeiten, und „Pop Song“ mit seiner pubertären Moral von der Geschichte war der Opener. „I hate Celine Dion / Titanic Song makes me wanna moan“, große Lyrik. Und NYHC-Bands waren immer am schlimmsten angezogen.

At the Drive-In – Cosmonaut (03:23)

Acht Jahre nach dem Kauf des Albums „Relationship of Command“ lernte ich in meinem Pop-Proseminar in der Musikwissenschaft, was da bei Minute 1:52 passiert: ein sogenannter Chill, ein Moment subjektiver Großartigkeit, der zuverlässig Gänsehaut auslöst. Yannick, mein technoproduzierender Uni-Sitznachbar (der sogar eine 10″ in Japan veröffentlicht hat), schrieb damals recht korrekt auf seinen Schreibblock: „Chill = Flash“. So ist das.

Soulfly – Back to the Primitive (04:22)

Ich habe in meinem Leben keinen anderen Song von Soulfly gehört als diesen, der auch auf einer All Areas-CD enthalten war. Ich kann nicht einmal mehr zu der Band sagen. Aber 2000 war er auf fast jedem Tape mit drauf.

Slime – Goldene Türme (05:04)

Letztens habe ich die alten Slime-Sachen wieder ausgepackt und gemerkt, wie aktuell der Text von „Goldene Türme“ wieder ist. Irgendwo las ich mal, dass Slime mit dem Album „Schweineherbst“ von weiten Teilen der Deutschpunk-Szene als „Deutschrock“ abgelehnt wurden. Für mich wurden sie nicht besser als damals, auch wenn „Deutschland“ in seinen verschiedenen Versionen natürlich immer noch gut reingeht (obligatorischer Hinweis auf meinen Arbeitsvertrag). Dennoch hier die erste Strophe von „Goldene Türme“ mal ganz zitiert:

Es ist sehr einfach, es liegt auf der Hand:
diese Menschen kommen hier in „unser Land“,
weil wir sie um das Ihre betrogen,
es ihnen abgenommen und ausgesogen.
Sie folgten ihrem gestohlenen Leben,
was uns reich gemacht und Überfluss gegeben.

Es ist folgerichtig, es wird so sein:
Goldene Türme wachsen nicht endlos, sie stürzen ein!

Rage Against the Machine – Born as Ghosts (03:22)

Dieser Bass, dieser komische Effekt! Rage Against the Machine waren meine Eintrittskarte in „harte Musik“, sie machten es mir mit „Guerilla Radio“ auch ziemlich einfach. Die Geschichte, dass ich, als ich letzteres erstmals im Radio hörte dachte, die Beastie Boys hätten sich E-Gitarren angeschafft, habe ich schon mal ins Internet geschrieben. I was not a smart kid, but an angry one.

Queens of the Stone Age – The Lost Art of Keeping A Secret (03:36)

Was war das mal ne gute Band, bevor sie ideen- und  belanglos waren. Außer diesem Song interessierte mich kaum etwas auf Rated R, den Bonus die Band schon vor der Explosion von „Songs for the Deaf“ gekannt zu haben gönnte ich mir natürlich trotzdem. Und das Vinyl auch, zwei Jahre zu spät.

Lenny Kravitz – Fly Away (03:41)

Ein paar Songs, die mir unangenehm sind, müssen ja auch mit hier drauf. Mir ist beim besten Willen nicht mehr klar, warum ich das „Riff“ (simple vier Akkorde, mann!) dieses Songs früher so fantastisch fand. Nee, 16-jähriges Ich, echt nicht. Dieses Bass-Interlude, meine Güte.

Beastie Boys – Intergalactic (03:51)

Wer die Beastie Boys erklärt haben will, soll sich von meinem Webspace verkrümeln. Eine der größten Bands der Welt, die besten Videos und hier einer der Songs für die Ewigkeit.

Fatboy Slim – Gangster Tripping (05:20)

Die 90er waren so herrlich bescheuert, dass man sich auch zehn Mal täglich ein Video angucken konnte, in dem verschiedene Dinge in die Luft gejagt werden. Wie kaum ein anderer Song drückt „Gangster Tripping“ alles aus, was die späten 1990er in Elektro/Hip-Hop ausmachte. Miese Scratches, gute Grooves, Inhaltsleere. Guter Song.

Maxim – Carmen Queasy (04:01)

Noch so ein Lied, das ich seit ca. 2001 nicht mehr gehört habe. Skin von Skunk Anansie war eine Zeit lang die größte Frau im Alternative-Bereich, aber so richtig konnte ich mit ihrer Band nichts anfangen. Den Song hier habe ich als Single (das sind CDs mit wenigen Songs für 12 Mark 95, liebe Jungspunde) gekauft. Die Hook geht tatsächlich immer noch.

6 thoughts on “#Mixtapemit16, oder: Make it up to you in the year 2000”

  1. Keine Ahnung, wo Du den Mumpitz mit Deutschrock und Slime her hast, wenn, dann kam das später. Klingt nach Musikjournalistenschwurbelei. Die Platte definiert Deutschpunk in ihrer Zeit und die Konzerte damals zeugten nicht wirklich von Ablehnung. Mal ganz davon ab, das die Musik von Slime eh schon länger in die Richtung geht.
    Heutzutage ist die „Band“, oder das, was von ihr übrig ist, nicht mehr zu vermitteln.
    Der Song ist – da gebe ich dir völlig recht – allerdings Gott. War er auch schon, als er rauskam.

  2. Sehr geiles Tape! Und auch gleich mal die Karaokeversion von Kein Gerede verlinkt. 😀
    Auf „Ein Lied für dich“ wäre ich nicht gekommen, auch wenns, gerade live, zum besten der „neuen“ Ärzte gehört.

  3. (IS IT HEAVIER THAN AIR?)

    Wo du gerade von At the Drive-In und dem »Chill« schreibst: Ich mochte »Cosmonaut« vom ganzen »Relationship of Command« auch am liebsten (kennengelernt Jahre später, weil sich wohl jemand bei »Get the Clip« das Video zu »Invalid Litter Department« gewünscht hatte).

    Aber mein subjektiv größter Chill bei ATDI findet sich in »Transatlantic Foe«: Der Übergang bei 1:14, als der Refrain zum ersten Mal ausgeschrien ist und die ganze Energie nicht zurückgefahren, sondern aufrecht erhalten und dann nach einem kurzen Schlagzeuggetümmel mit »The sky is blackened with carrion birds« nochmal rausgebrüllt wird.

    Um die Stelle kurz zu beschreiben, höre ich es gerade auf Notebooklautsprechern und es klingt ausgesprochen erbärmlich, aber der geneigte Leser hat da hoffentlich andere Möglichkeiten. hellojed war zum Erscheinungszeitpunkt nicht 16 und insofern tut das alles wenig zur Sache, aber es gehört sicherlich eher hierhin als in die DM-Kiste bei Twitter.

  4. Tolles Mixtape mit vielen tollen Liedern, auch wenn ich persönlich RATM vorspulen würde, die fand ich immer doof.

    Auch wenn man den Film kennt lohnt es sich übrigens sehr Virgin Suicides zu lesen. Man kann dabei gar nicht anders als die ganze Zeit die Musik von Air im Kopf zu haben. Der Soundtrack passt so wunderbar, wie die Verfilmung von Sofia Coppola.

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